Dem Alter die Ehr

Margarete Schönfeldt

Bei einer Tagung des Frauenverbandes in Jena lernte ich Frau Schönfeldt kennen und schätzen. Sie sprühte vor Energie und lächelte mich mit leuchtenden Augen an. Sie leitete die Tagung und fügte sich im Chorgesang ein. Beides unter einen Hut zu bringen, schien für sie selbstverständlich. Im persönlichen Gespräch und mit Hilfe ihres autobiografischen Buches (Margarete Schönfeld: Meine Erinnerungen, Jena 2009) trugen wir Stein für Stein für ihren Werdegang zusammen. Anfänglich fiel es Frau Schönfeldt sichtlich schwer, über ihr bewegtes und aktives Leben zu reden.

„Geworden-Sein“

Margarete Richter wurde am 25. Januar 1936 in Dobberschütz im Warthegau, heute Polen, als Zwillingsmädchen geboren. Ihr Vater war Besitzer einer Landmaschinenwerkstatt. Da diese als wehrwirtschaftlich bedeutsam eingestuft wurde, lebten die beiden Mädchen umhegt von Eltern und Großeltern im beschaulichen Pleschen.

Die Situation änderte sich radikal, als der Vater 1944 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Die Mutter musste die Betriebsleitung, der Großvater die Werkstattleitung und die Oma mit dem polnischen Dienstmädchen den Haushalt übernehmen. Während der Erntezeit leisteten die beiden Mädchen Telefondienst für den mobilen Montageservice. Im Herbst beobachteten die Mädchen auf dem Schulweg, dass die Polen ihnen auswichen und Bemerkungen über die Deutschen machten, die sie nicht recht verstehen konnten. Zur Freude der Kinder gab es immer weniger Unterricht, weil nach den Lehrern auch die jungen Lehrerinnen zum Luftwaffendienst eingezogen wurden. Bald wurde die Lage unruhiger. Einzelne Bauernhöfe wurden ausgeraubt. Eines Morgens war auch die Räucherkammer der Familie leer. Um die Familie zu schützen, besorgte der Vater der Mutter eine Pistole.

Weihnachten war die Familie vereint, weil der Vater aus dem Lazarett kam. Es gab ein großes Festessen für die Familie und die Kameraden des Vaters. Die Kinder sagten Gedichte auf und sangen Weihnachtslieder. Sie bekamen Schlittschuhe geschenkt, mit denen sie auf den spiegelglatten Gehwegen laufen konnten. Vor dem Fest hatten sie tagelang fleißig die Lebensmittel für die Weihnachtsgratifikationen der Mitarbeiter gewogen und verpackt. Nach mehr als siebzig Jahren erinnert sich die drahtige Frau Schönfeldt gerne an ihr liebstes Weihnachtsgeschenk von 1943 – es war ein Barren zum Turnen.

Mitte Januar 1945 forderte der Straßenwart die Familie auf, den Betrieb wegen Frontbegradigung zu schließen und sich für die Umsiedlung ins Reich vorzubereiten. Nach  einem kurzen Aufenthalt auf dem großelterlichen Hof in Dobberschütz flüchtete die Familie mit der deutschen Wehrmacht auf dem Rückzug. Die Angst vor der nahenden Front und möglichen Vergeltungsmaßnahmen der Polen, waren ausschlaggebend für die schwerwiegende Entscheidung, die Heimat zu verlassen.

Jahrzehnte nach der Vertreibung reflektierte Frau Schönfeldt die Folgen der Flucht in ihrem Buch (S. 17/8): „Viel später einmal sagten Heimatverbliebene zu uns: Ihr habt die Heimat verloren, das war bitter und der Neuanfang schwer. Wir haben die Heimat behalten, aber in ihr zu leben ist schwer. Wer von uns beiden hat denn jetzt das bessere Los gezogen?“ Dazu schlussfolgerte Frau Schönfeldt: „ Nun wissen wir, dass unser Weggang, so bitter er war, für uns doch die bessere Lösung wurde.“

In Hettstadt traf sich die Familie nach dem Kriege wieder. Das Einleben in der neuen Umgebung fiel allen schwer. Der Hauswirt gab ihnen nur widerwillig Ess- und Kochgeschirr ab. Mit Wehmut beobachtete sie, dass die Einheimischen bei der Lebensmittelknappheit ihren Speisezettel mit Früchten aus dem eigenen Garten sowie mit Geflügel und Kaninchen aus eigener Zucht aufbesserten. Im Rahmen der Bodenreform wurden der Familie zehn Hektar Ackerboden und Vieh vom Rittergut Meisenberg zugeteilt. Da der Vater Schlossermeister war, konnte er mit der Reparatur der gutsherrschaftlichen Landmaschinen das Familienbudget aufbessern. Dazu trugen auch gute Tabakernten und die Zucht von Schwarzeckern-Schweinen bei.

Margarete und ihre Schwester besuchten wieder die Schule und halfen auf dem elterlichen Hof. Der Lehrer aus Pommern vermittelte allen Kindern der einräumigen Acht-Klassenschule ein solides Allgemeinwissen, so dass sie für die weitere Ausbildung gut gerüstet waren. Er vernachlässigte weder die sportliche noch die musische Erziehung und sorgte dafür, dass im ersten Nachkriegswinter alle Kinder Holzpantinen bekamen.

Margarete wünschte sich, technische Zeichnerin zu werden, aber sie musste mit einer Lehrstelle als Dreher vorlieb nehmen. Ihre Lebensmittelkarte reichte, um die Familie einmal im Monat mit Frischfleisch zu versorgen. Alsbald entschied sie sich, das Abitur im Abendlehrgang nachzuholen und Jura zu studieren. Nach dem Studium der Rechte an der Martin Luther Universität in Halle lernte sie ihren Mann kennen. Sie selber war vor allem als Familienrichterin tätig. In ihrem Ehemann, der an der Universität tätig war, fand sie immer einen kompetenten Austauschpartner.

Die Veränderungen nach der Wiedervereinigung empfand Frau Schönfeldt als gravierenden Einschnitt in das Leben der DDR-Bewohner. Sie erlebte, dass sich viele den ungewohnten Herausforderungen nicht gewachsen fühlten. Vor allem bedauert sie, dass die Lebensleistungen der DDR-Bewohner quasi über Nacht nicht mehr wert geschätzt wurden. Die gesellschaftliche Abwertung wurde noch durch die geringere tarifliche Einstufung untermauert. Frau Schönfeldt thematisiert diesen Bruch in ihrem Leben in dem Gedicht „Eine Blume im Wind“ S. 47/8 ihres Buches.

Landesvorsitzende des Frauenverbandes im BdV in Thüringen

Seit der Wende ist Frau Margarete Schönfeldt die Vorsitzende des thüringischen Landes-verbandes der vertriebenen Frauen. In den Jahren 2003-2006 organisierte sie Begegnungsseminare zur Verständigung und Versöhnung mit unseren osteuropäischen Nachbarn auf der Grundlage des § 96 zur Förderung verständigungspolitischer Maßnahmen. Als herausragende Veranstaltung muss die Zusammenarbeit mit der Eichendoff-Stiftung gewertet werden. Die Vereinigten Schlesischen Landfrauen, die polnischen und die Frauen aus dem Landesverband Thüringen debattierten über die Bedeutung des polnischen EU-Beitritts für unsere Länder, die Situation der deutschen Minderheiten in Polen sowie die Rolle der Eichendorff-Stiftung bei der Bewahrung der kulturellen Identität der Deutschen in Oberschlesien und bei der Festigung der deutsch-polnischen Beziehungen.

Von 2008 bis 2015 war Frau Schönfeldt Vorstandsmitglied und bis 2014 auch Vizepräsidentin des Frauenverbandes im Bund der Vertriebenen. In dieser Zeit hat sie eng mit der Präsidentin Frau Dreher zusammengearbeitet. Daraus ergaben sich mehrere gemeinsame Tagungen vom Bundesfrauenverband und dem Landesfrauenverband in Thüringen. Während die inhaltliche Gestaltung von den beiden leitenden Frauen gemeinsam ausgehandelt wurde, oblag die organisatorische Gestaltung ausschließlich Frau Schönfeldt. Bei den Tagungen und den Mitgliederversammlungen des Bundesfrauenverbandes ist sie regelmäßig anwesend, aber nicht etwa als Zählmitglied, sondern als interessierte Diskussionspartnerin.

Für das Land Thüringen leitet Frau Schönfeldt auch die Landsmannschaft Weichsel-Warthe. In der Frauenverbandsarbeit wird sie unterstützt von Frau Christa Schulz, der langjährigen BdV-Landesvorsitzenden von Thüringen. Für Frau Schönfeldt ist es wichtig, die Frauen von Eisenach bis Zwickau zu gemeinsamen Aktivitäten zu vereinen. Sie organisierte und organisiert bis heute Vortragsnachmittage, Ausflüge, Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch, zum kreativen Gestalten, zum Singen und Feiern. Sie selber war immer Mitglied des Frauenchores. Seidenmalerei ist eine ihrer Leidenschaften, neben dem Weinbau. Großzügig beschenkt sie die Referenten der Veranstaltungen mit den Früchten ihrer Arbeit. Ich selber bin dankbare und stolze Besitzerin eines zartgelben Rosen-Seiden-Schals. Ein Meisterstück ist ihr mit ihrem „Weinbergs-Seiden-Schal“ gelungen, vielleicht weil sie das, woran ihr Herz hängt, verewigt hat.


Wichtig im Leben ist für mich

Ein Leitmotiv zu haben, tolerant gegenüber anderen Menschen zu sein, die Menschen, vor allem die aus meiner Generation und meine vertriebenen Freunde/Freundinnen zum Miteinander anzuregen.

Was ich jungen Menschen sagen will

Man muss aufrecht bleiben und sich nicht verbiegen lassen! Man sollte nicht nur nach den Sternen streben, sondern auf die Erdung achten! Menschen brauchen die Liebe zur Heimat, zum Vaterland, um Wurzeln zu schlagen.

 

Die Blume im Wind

Die Geranie am Fenster blüht zeitlos,
ist draußen das Wetter auch schlecht.
Sie wächst nach dem Licht und sagt wortlos:
Mir ist jedes Wetter recht.

Hier drinnen habe ich Schutz vor der Welt.
Hier drinnen bin ich zufrieden.
Das ist ein Platz, der mir gefällt,
wie schön ist es doch hernieden.

Da wurde sie auf den Balkon gestellt,
da wehten die Stürme des Lebens.
Keiner kann sich aussuchen, wie‘s ihm gefällt,
Bitten und Klagen sind da vergebens.

Als sie den Schock nun überwand,
da stellte sie sich gerade.
Mag noch so vieles geschehen,
hier unterzugehen wäre zu schade.

Hier muss sie sich anpassen an die Natur,
sie ist ja ein Teil von ihr selbst, oje;
hier spürt sie Wald und Feld und Flur
und spürt auch den Hagel, oh weh.

Das Schicksal kann so grausam sein,
das hat sie nun vernommen.
Nur dies Leben gehört ihr allein,
das hat sie geschenkt bekommen.

Was sie daraus macht, das ist wohl entscheidend.
Sie wird nicht stets behütet sein.
Unter Mühen auch aufrecht stehend,
Das muss ihr Bestreben sein.

Der Kampf ums Überleben kostet Kraft,
die sie stets aufs neue finden muss,
und es gibt auch eine Macht
gegen Ärger und Verdruss.

Die braucht sie nun und sehr viel Mut,
um nicht mehr zu hadern mit sich und der Welt.
Wo sie jetzt steht, so ist es gut,
und so wurde sie einfach dahin gestellt.

Margarete Schönfeldt


 

Nachwort von Dr. Maria Werthan

Was hat mich an Frau Schönfeldt  beeindruckt? Ihre Art sich dem Leben zu stellen und es mit allen Fähigkeiten und Sinnen, vom Praktischen bis zum Schöngeistigen, zu erfassen und zu gestalten.

Verehrte Frau Schönfeldt, wir Frauen danken Ihnen für Ihren unermüdlichen Einsatz im Frauenverband und im Landesverband Thüringen im BdV! Wir wünschen Ihnen, dass Sie sich in Gesundheit und Zuversicht der Menschen, der Blumen-Malerei und des Weingartens erfreuen!

 

„Dem Alten die Ehr“ mit Margarete Schönfeldt ist erstmalig im Tagungsband 2017 erschienen. Unsere Publikationen finden Sie hier.

 

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