Zur Vorbereitung dieses Beitrags führte ich mit Frau Dr. Kiesewetter-Giese Gespräche in Berlin. Ihr Buch „Erinnerungen an Mähren von Neutitschein nach Berlin“ las ich mit Freude und vielen Erinnerungen an meine eigene Heimat. Daraus habe ich einige Passagen dem Interview hinzugefügt. Zusätzlich bat ich sie, zu den beiden Fragen „Was ist mir wichtig im Leben?“ und „Was möchte ich der Jugend mit auf den Weg geben?“ Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen von Frau Dr. Kiesewetter-Giese übernehme ich ohne Abstriche im zweiten Teil des Berichts.
Gewachsensein
Edith Beyer wurde am 13. Juni 1935 als drittes Kind des Gastwirtehepaars Beyer von Hotel „Hirsch“ geboren. In ihrem Buch heißt es: „Ich bin im Kuhländchen geboren, das ist das Land nördlich der mährischen Pforte – die Senke, die von den Flusstälern der Betschwa und der Oder gebildet wird und zwischen den Sudeten im Nordwesten und den Karpaten im Osten liegt. Das ist auch das Land, das 1763 nach dem 7jährigen Krieg zwischen Österreich und Preußen bei Österreich blieb und am 28. Oktober 1918 ein tschechoslowakischer Staat wurde.“ (S. 17) So viel zu den Rahmenbedingungen eines sich neu bildenden Staatswesens, auf dessen gravierende wirtschafts-, sozial- und auch gesellschaftspolitische Probleme hier nur noch im Spiegel der Familiengeschichte eingegangen wird. Der Großvater war überzeugt, dass die Nichtgewährung von Autonomie und Selbstbestimmungs-rechten für die Deutschen und die Rivalitäten zwischen Tschechen und Slowaken die Tschechoslowakei destabilisieren würden. Der Vater als Sozialdemokrat setzte dagegen auf ein freundschaftliches Zusammenleben von Deutschen und Tschechen.
Da es in einem aufstrebenden Geschäftshaushalt wenig Zeit für Kinder gab, wurden Kindermädchen eingestellt. Dann setzten die beschäftigten Eltern alle Hoffnungen auf den Kindergarten. Nur allzu bald weigerte sich die kleine Edith konsequent, jemals wieder die Einrichtung zu betreten, weil man ihren Geburtstag schlichtweg vergessen hatte. Nun wurde sie jeden Morgen von einer Rentnerin abgeholt und am Abend wieder gebracht. Die gewalt- und machtbesetzten Erziehungsmethoden der Rentnerin stachelten den Freigeist des selbstbewussten Kindes derart an, dass die Eltern der Betreuerin kündigen mussten. Edith kommentiert: „Ich durfte zu Hause bleiben und eine glückliche Kindheit begann.“ (S. 25) Von der „Flickschneiderin“ lernte sie Puppenkleider nähen, vom tschechischen Küchenmädchen lernte sie häkeln, und mit fünf Jahren bekam sie Klavierunterricht. Im Sommer tobte sie sich mit Gleichaltrigen im Schwimmbad aus, im Winter fuhren sie zusammen Schlittschuh. Die Ferien verbrachte Edith mit Cousins/Cousinen auf dem Bauernhof des Großvaters mütterlicherseits. Garten, Feld, Wiesen, Wald, Stall und Heubodenmit Tieren waren ein Paradies für das aufgeweckte Mädchen. Später bauten die Eltern ein Sommerhaus auf dem Erbgrundstück der Mutter. Für die Kinder wurden Schaukel, Reck, Ringe und Kegelbahn angelegt. Wenn sie dann in der Mittagshitze mit dem Opa auf dem Schaffell unter dem Birnbaum schlafen durften, nahmen sie die Einladung bereitwillig an. Im weitläufigen, märchenhaften Garten ihres Großvater väterlicherseits, dem Oberaufseher der Besserungsanstalt in Mürau, verweilte Edith gerne. Vom Großvater lernte sie die Gemüse- und Zierpflanzen zu umhegen. Gemeinsam unternahmen sie Streifzüge durch den Wald, um die Tiere zu beobachten. Beim Großvater traf sie auch ihre geliebten Erzieherinnen-Tanten, die sie verwöhnten. Selbst als der Krieg längst tobte, blieb es für Edith eine glückliche Kindheit, weil ihr die Eltern aufgrund ihrer Reife und ihrer wirtschaftlichen Situation die Erfahrungen von Geborgenheit, Toleranz, Humanismus und Lebenslust vermitteln konnten.
Das Kriegsjahr 1941 hatte seinen Schatten noch nicht über Neutitschein ausgebreitet. Vor der Einschulung besuchte Edith mit ihren Eltern, ihrer Schwester und ihrer Tante Wien und war beeindruckt vom Großstadtleben und den Theateraufführungen. Eingeschult, sammelte sie mit den anderen Kindern für das Winterhilfswerk, bestaunte Kriegsgerät und hörte Militärmusik zum Tag der Wehrmacht und wünschte sich Fliegeralarm, damit der Unterricht ausfällt. Als Kind konnte sie die Vorboten des grausamen Krieges nicht wirklich erfassen und einordnen. Auch wenn sie merkte, dass das Leben der Erwachsenen und der Kinder sich veränderte. Ihr Vater hielt geheime Besprechungen mit Freunden ab. Immer mehr Soldaten zogen vorbei. Die Hotelzimmer wurden mit „Ausgebombten“ belegt. Viele Familien verließen die Stadt, doch die Eltern zögerten.
Am 6. Mai 1945 „befreiten“ die Russen Neutischtschein. Die Stadt wurde für drei Tage zur Plünderung freigegeben. Edith und ihre Familie lebten im Keller. Ein Partisanenpaar übereignete sich die Gaststätte und das Hotel. Als Edith wieder die Straße betrat, sah sie im Chaos Leichen und aufgehängte Menschen. Sie erlebte, wie Deutsche mit wildem Gejohle von Russen und Tschechen durch die Stadt oder auch zu Tode geprügelt wurden. Vergewaltigungen, Raub, Plünderungen und Hausbesetzungen gehörten zum Alltag. Der nationale Sicherheitsdienst verordnete allen Deutschen eine Kennzeichnung an der Kleidung mit einem schwarzen N (Nemec)auf weißen Grund. Durch die Einquartierung der russischen Kommandantur in der Gaststätte „Hirsch“ waren Leben und Hungerration der Familie prekär gesichert.
Am 7. Juli 1945 kam der Befehl, dass sich alle Deutschen, getrennt nach Alter und Geschlecht, nach der Abgabe von Hausschlüsseln, Geld, Wertsachen und Versicherungspolicen mit Handgepäck in einer zentralen Sammelstelle einfinden müssen. Nach einem Fußmarsch bis Zauchtel wurden die Menschen in Viehwaggons bis Tetschenbodenbach transportiert, dann wurden sie entlang der Elbe bis zur Grenze getrieben. Edith beobachtete, wie erschöpfte Menschen erschlagen oder erschossen wurden. Mit Schrecken sah sie die Leichen auf der Elbe treiben. Nachdem den Überlebenden in der Schlucht vor Schmilka die Ohrringe aus den Ohren gerissen und die Goldzähne mit dem Gewehrkolben aus dem Mund geschlagen wurden, erreichten sie entkräftet und hoffnungslos Deutschland.
Familie Dehner erbarmte sich ihrer auf dem Bahnhof und brachte sie in einer ihrer beiden Stuben unter. Nach einer Zwischenstation auf dem Rittergut von Kalben in Vienau wurden sie im Ort Vienau in der Altmark ansässig. Mit der Wahl des Vaters zum Bürgermeister war das Überleben der Familie vorerst gesichert. Im Herbst besuchte Edith die Einraum-Klassen-Grundschule im Ort. Sie sagt heute, dass vier Jahre Landleben in Vienau ihr weiteres Leben stark geprägt haben. Weil sie nach Beendigung der Grundschule nicht Magd werden wollte, kämpfte sie um ein Stipendium für eine zentrale Oberschule. Im nahen Dähre besuchte sie kurzfristig die Zentralschule und nach ihrer Schließung zog sie 15jährig ins entfernte Elsterwerda. Im Rückblick bilanziert sie, dass die gleiche Herkunft von Direktorin und Lehrern ihr das Einleben erleichterten, dass die Konfrontation auf engem Raum mit allen menschlichen Gefühlslagen und Verhaltensweisen ihre Selbstdisziplin stärkte und dass sie die Schulzeit auch wegen des großen Kultur- und Sportangebots nicht missen möchte.
Nach dem Abitur studierte Edith Beyer an der Martin-Luther-Universität in Halle/Saale Landwirtschaft. 1960 trat sie ihre erste Stelle als Zootechnikerin / Verantwortliche für Tierzucht an. Für eine junge Frau war die Tätigkeit in einer Männerdomäne ein täglicher Hürdenlauf. Sie ließ sich jedoch nicht entmutigen; Durchhaltevermögen, ein solides Fachwissen, die landwirtschaftliche Praxis, von den Anfängen in Vienau bis zu Studentenpraktika und Auslandsaufenthalten, kombiniert mit einer guten Beobachtungsgabe sowie einer Portion Selbstsicherheit und Schlagfertigkeit sicherten ihr die schrittweise Anerkennung männlicher Unter- und Übergeordneter. Nach Heirat und Geburt der Tochter war sie in der Leitung der Kreisrechnungsstelle, danach in der Güterdirektion der Akademie der Landwirtschaften und später Mitglied der Sektion der Akademie der Landwirtschafts-wissenschaften, wo sie nach einem ökonomischen Zusatzstudium promovierte.
Der Bruch in ihrem 40jährigen erfolgreichen Erwerbsleben erfolgte mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 und der der sogenannten Abwicklung der DDR Institute, zu denen auch die Akademie der Wissenschaften gehörte. In ihrem Buch beschreibt sie dieses Gefühl des Vertrieben-Seins und Nicht-Angenommen-Werdens (S. 150): „Da bin ich nun in der Bundesrepublik Deutschland angekommen. Mein ganzes Wissen und Können wollte ich in dieses Land einbringen, aber diese Republik braucht mich nicht, hat mich auf Null gesetzt und in den Vorruhestand geschickt. Damit habe ich meine gesellschaftliche Stellung, die sich vor allem über meine Arbeit realisierte, und auch mein soziales Umfeld verloren, denn jeder versucht für sich alleine sein Leben zu gestalten. Im Jahre 1945 haben mich die Tschechen vertrieben – und jetzt die soziale Marktwirtschaft.“
Einsatz für die vertriebenen Frauen
Frau Dr. Kiesewetter-Giese lernte ich bei der Eröffnung unseres Berliner Büros 2014 kennen. Mittlerweile waren fast zwei Jahrzehnte seit der Wiedervereinigung und den großen Umbrüchen in ihrem Leben vergangen. Sie war Leiterin des Frauengesprächskreises der vertriebenen Frauen in Berlin. Wir tauschten uns regelmäßig über ihre Angebote für den Frauenkreis aus. Im Laufe der Jahre wuchs die Offenheit von beiden Seiten. Ich übernahm von ihr Referentenvorschläge für unsere Frauenverbandstagungen. Frau Dr. Kiesewetter-Giese besucht bis heute unsere Tagungen. So wuchs eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, getragen von gegenseitiger Sympathie.
Frau Dr. Kiesewetter-Giese leitete über zehn Jahre lang den Frauengesprächskreis. Während dieser Zeit verpflichtete sie Experten aus allen Fachgebieten und aus ganz Europa zu Vorträgen. Sie achtete auf das politische Geschehen und bat Stadtverordnete und Bundestagsabgeordnete aus aktuellen Anlässen zu Gesprächen. Sie überlegte, welche sozialen Themen für „ihre Frauen“ bedeutsam waren, und regte Informationsveranstaltungen mit Fachleuten aus den Sozialverbänden und Psychologen an. Sie organisierte Autoren-Lesungen. Gemeinsam besuchten die Frauen die Veranstaltungen des Vertriebenenverbandes, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, Veranstaltungen für Kunst und Kultur sowie Institutionen in Berlin.
Neben der Vermittlung von Informationen und Bildung für die beteiligten Frauen zielte die Arbeit von Frau Dr. Kiesewetter-Giese auf die Vermittlung der Geschichte des deutschen Ostens in der deutschen Öffentlichkeit und Bewusstseinsbildung für diese Geschichte als Teil der deutschen Gesamtgeschichte. Als Zeitzeugin unter Zeitzeuginnen war sie bestrebt, die Erinnerung an die Vertreibung der Deutschen wach zu halten und im kulturellen Gedächtnis festzuschreiben. Zu diesem Zweck traten die Frauen in deutschen und anderen europäischen Fernsehsendungen und bei Podiumsdiskussionen als Zeitzeuginnen auf. Sie verfassten Berichte für Zeitungen und Datenbanken und traten im Fernsehen auf.
Die Zusammenkünfte im Berliner Frauengesprächskreis waren immer auch ein Stück Mit- und Füreinander. Miteinander reden, Rezepte austauschen, singen, Feste vorbereiten und feiern, sich miteinander freuen und trauern.
Die Leitung des Berliner Frauengesprächskreises legte Frau Dr. Kiesewetter-Giese vertrauensvoll in die Hände von Frau Marianne Wallbaum. An den Begegnungen mit „ihren Berlinerinnen“ hält sie bis heute fest.
„Was ist mir wichtig im Leben?
Nach den wilden Vertreibungen aus meiner Heimat Neutitschein war mein Lebensziel, durch Bildung und Arbeit das materielle Lebensniveau meiner Eltern in der Zeit vor 1945 zu erreichen. Nie wieder Krieg, nie wieder hungern.
Dieses Ziel habe ich hartnäckig verfolgt, es war mein Leitfaden. Erreicht habe ich zwar einen guten Bildungsgrad: Abitur in Elsterwerda, Studium der Landwirtschaft an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg, Fachschule für Ökonomie Rodewisch – Teilstudium in der Fachrichtung ökonomische Grundausbildung, Teilstudium für Ökonomie in der Fachrichtung Volkswirtschaft, Dissertation an der Hochschule für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft in Bernburg/Saale, Mitglied der Sektion der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR – Landschaftsbau.
Aber das materielle Niveau meiner Eltern zu erreichen, war in der DDR nicht möglich. In meiner praktischen Tätigkeit war mir die Achtung vor den Menschen und ihrer Leistung wichtig, egal in welchem Arbeitsbereich, das ehrliche Ansprechen von Problemen und die Suche nach befriedigenden Lösungen. Das war nicht immer einfach und hat mir nicht nur Freunde eingebracht, aber im Leben muss man Kompromisse eingehen.
In diesem Sinne habe ich Tochter und Enkel erzogen und bin glücklich, dass das auch bei den Kindern geklappt hat. In diesem Sinne sind mir der familiäre Zusammenhalt und das soziale Umfeld sehr wichtig. Meine Eltern, eine Schwester und ich landeten 1945 auf dem Gebiet der DDR, alle anderen Verwandten sowie die Geschäftspartner meines Vaters kamen per Ausweisungsbeschluss in die BRD. Das bedeutete, unser soziales Umfeld gab es nicht mehr. Nach der Wende standen sich dann Cousinen und Cousins als Ossi und Wessi gegenüber. Onkel und Tanten lebten nicht mehr. Meine ältere Schwester war 70 Jahre alt. Wir hatten trotzdem noch zwanzig schöne Jahre zusammen.
Ich gebe zu, ich bin harmoniebedürftig und möchte, dass es allen Menschen immer gut geht und dass Streit, wenn möglich, vermieden wird. Ich habe gelernt, dass man im Leben sehr selten gute Freunde hat.“
„Was möchte ich der Jugend mit auf den Weg geben?
Bei der Beurteilung von Menschen möchte ich jungen Menschen sagen, sie sollten einmal über folgende Worte nachdenken: Kein Mensch kann sich aussuchen, in welche Familie er hinein geboren wird, in welchem Land seine Wiege steht und welche Landschaft, Sitten und Gebräuche, Sprache, Religion sowie welche Weltanschauung ihn prägen wird.
In unserem Grundgesetz steht nicht umsonst: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und es steht nicht, eine Nation ist edler als die andere oder der Reiche ist ein besserer Mensch als der Arme.
In der Beurteilung bestimmter Probleme sollte man darüber nachdenken, wie man reagieren würde, wäre man selbst der Betroffene. Kein Mensch ist über andere erhaben. Leider sieht die Wirklichkeit oft anders aus.
Mein Anliegen bei Lesungen oder anderen Veranstaltungen mit jungen Menschen ist, ihnen die deutsche Geschichte deutlich zu machen, da sich daraus resultierende Entwicklungen besser erklären lassen. Ich denke, es ist wichtig, dass man die Vergangenheit kennt, um mit diesem Wissen heute die Zukunft zu gestalten. Kriege z. B. sind für die Menschen keine Lösungen.
Ich möchte, dass die Jugend neugierig ist, Fragen stellt. Eltern und Großeltern befragt, wie war das in eurem Leben? Fragen, solange die Zeitzeugen noch leben. Oft hat man im Leben Fragen, die einem keiner mehr beantworten kann, weil die Zeitzeugen nicht mehr da sind. Das Leben, die Erkenntnisse und die Erfahrungen verändern sich. Wir müssen mit Ideologien, Entwicklungen von Gesellschaft und Wissenschaft, mit Machtverhältnissen und anderem fertig werden.
Wissen ist nötig, damit eine friedliche Welt geschaffen werden kann und es nicht geschieht, dass historische Ereignisse davon abhängig gemacht werden, wie Politiker und Personen das Geschehen gegenwärtig bewertet haben wollen.“
Warum schätze ich Frau Dr. Kiesewetter-Giese?
Nachwort von Dr. Maria Werthan
Obwohl sie nach der Wiedervereinigung beruflich nicht mehr Fuß fassen konnte, hat sie sich nicht verbittert zurückgezogen und den Untergang der DDR beweint. Sie hat nach Nischen gesucht, um ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung in die Gesellschaft einzubringen. Neben der Frauengruppe wurde sie in der Berliner Zeitzeugenbörse aktiv. In diesem Rahmen vermittelt sie bis heute ihre Lebenserfahrungen an Schüler und Studenten aus dem In- und Ausland. Dabei differenziert sie deutlich zwischen den Leistungen der Menschen in der ehemaligen DDR und der staatlichen Ideologie. Ich selber habe mittlerweile viele Gespräche mit ihr über den DDR-Alltag geführt. Dabei lernte ich verstehen, warum sich die Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger nach der Wiedervereinigung um die Anerkennung ihrer Lebensleistungen betrogen fühlt. Ich kann nachvollziehen, dass unsere Mitbürger nicht Menschen zweiter Klasse sein wollen, wenn ihnen Menschen aus dem Westen nur allzu oft von oben herab begegnen. Als gebranntes Kind aus der rumänischen Diktatur ist es mir wichtig, allen DDR-Bürgern, außer den Stasi-Funktionären, mit großer Wertschätzung für ihre Lebensleistung zu begegnen.
Das Herz von Frau Dr. Kiesewetter-Giese gehört ihrer Familie und besonders den Enkelkindern. Da gibt es natürlich noch einen immerwährenden Platz für ihre Heimat im mährischen Neutitschein. Für die Seele und den Verstand hat sie sich ein zweites Standbein geschaffen. Tagtäglich nutzt sie das große Angebot der Hauptstadt an kulturellen und geisteswissenschaftlichen Veranstaltungen. Mittlerweile besuchen wir gemeinsam Veranstaltungen und stellen immer wieder fest, wie stark unsere Prägungen dem christlichen Europa, angefangen mit dem Habsburger Vielvölkerreich bis zu den brandenburgisch-preußischen Kulturtraditionen und nach Diktatur-Erfahrungen dem demokratischen Bewusstsein der Bundesrepublik verhaftet sind.
Liebe verehrte Frau Dr. Kiesewetter-Giese, liebe Edith, für Deine Lebensleistungen und Dein anhaltendes Bestreben, die Selbstachtung der Menschen aus Mitteldeutschland und die der vertriebenen Frauen im Hinblick auf ihre Lebensleistungen zu mehren, nötigst Du unseren Verbandsfrauen und mir große Hochachtung ab. 2015, als die Leitung des Bundes der Vertriebenen beteuerte, wir würden keine politische Mehrheit im Bundestag für die Durchsetzung des Projektes zur Entschädigung der deutschen Zwangsarbeiter bekommen, da hast Du unermüdlich weiter Petitionen an den Bundestag geschrieben und um Unterstützung gebeten. Wir danken Dir von Herzen für Deinen couragierten Einsatz! Den lieben Gott bitten wir, Dir Deine Gesundheit, Dein Einstehen für die Gemeinschaft sowie Deine Freude an den Menschen, die Dich umgeben, und der Kultur zu erhalten!