Tagungsbericht

Frauen bewältigen Extremsituationen

Der Frauenverband im Bund der Vertriebenen hatte zu einer internationalen Begegnungstagung unter dem Titel unter dem Titel „Frauen bewältigen Extremsituationen“ in die Bildungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen eingeladen. Die Tagung fand vom 30. Juli bis zum 1. August 2021 unter der Leitung von Frau Dr. Maria Werthan, der Präsidentin des Frauenverbandes, statt.

Frau Dr. Werthan hatte schon in der Einladung darauf hingewiesen, dass es auf dieser Tagung um die Auseinandersetzung mit den Grenzerfahrungen von starken Frauen geht. Wie haben Frauen das Leben in Grenzsituationen erlebt und ertragen? Konnten sie sich selber treu bleiben? Woher nahmen sie die Kraft, Krisensituationen zu bewältigen und welches waren ihre Strategien zum Überleben? Wie haben diese Erfahrungen ihre Persönlichkeit, ihr Leben und ihre Beziehungen geprägt? Bekamen sie mitmenschliche Hilfe in der Not?

Frau Dr. Irmgard Sedler referierte über den bedrückenden Alltag der siebenbürgisch sächsischen Frauen während der Russlanddeportation von 1945-1949. Sie demonstrierte, dass der Lebenswille und der Erfindungsgeist der Frauen trotz widriger Lebensbedingungen in der Lagerhaft bei der Mehrheit derjenigen, die überlebten, kaum zu brechen war.

Frau Sibylle Rothkegel, psychologische Psychotherapeutin aus Berlin, sprach über „Entwicklung von Resilienz in extrem belastenden Lebensphasen“ wie zum Beispiel erzwungener Migration, die in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit vor allem Frauen betraf, die allein – die Männer und die Söhne waren im Krieg oder gefallen – mit ihren Kindern die schrecklichen Strapazen der Flucht aus den Ostgebieten Europas bewältigen mussten. Mit den erlittenen Traumata wurden Grundüberzeugungen erschüttert. Und die traumatischen Erfahrungen können noch an die nachfolgenden Generationen weiter gegeben werden, wie man heute weiß. Die Psychotherapeutin führte aus, dass es ganz entscheidend für die Verarbeitung der Traumata sei, ob den Frauen private und gesellschaftliche Anerkennung gewährt worden sei, ob sie Perspektiven für ein künftiges Leben wahrnehmen oder Hilfe von Freunden und Verwandten erleben konnten.

Frau Dagmar Freudenberg, Staatsanwältin i. R., sprach am nächsten Tag über „Gewalt gegen Frauen – jahrzehntelange verkrustete Strukturen im gesellschaftlichen und gesetzlichen Wandel“, ein Thema, das bis in die heutige Zeit relevant ist.

Frau Prof. Dr. Karin Sorger, ehemalige Chefärztin am Institut für Pathologie der Klinik am Eichert in Göppingen, war als Gastdozentin geladen. Sie referierte als Vertreterin des Forums für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur e.V. der UOKG über ihr Leben in der ehemaligen DDR, ihren missglückten Fluchtversuch mit Verhaftung und Aufenthalt im Frauenzuchthaus Hoheneck sowie ihren Freikauf und den ihrer kleinen Tochter durch die Bundesrepublik Deutschland. Zugleich hatte sie ihre Autobiografie „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut“ vorgestellt. Für den Abend hatte sie noch eine Kurzfassung der Spiegel TV-Dokumentation „Die Frauen von Hoheneck“ mitgebracht.

Katharina Martin-Virolainen M.A., Autorin, freie Journalistin und Spätaussiedlerin, schilderte als Vertreterin der jüngeren Generation eindrucksvoll die Repressionen der deutschen Minderheiten unter Stalin in der damaligen Sowjetunion aufgrund ihrer ethnischen Herkunft. Die feindliche Gesinnung gegenüber den Deutschen, darunter auch ihre Großmutter, gipfelte in systematischen Verhaftungen, Verurteilungen, Erschießungen und Vergewaltigungen sowie Deportationen aus ihren Siedlungsgebieten an der Wolga, im Kaukasus, in Wolhynien und am Schwarzen Meer u.a. nach Sibirien. Die Folge davon waren Enteignung, Verbannung und Straflager mit Zwangsarbeit. Die

Familienangehörigen der Verurteilten wurden zu „Feinden des Volkes“ erklärt. Auch nach dem Krieg waren die Deutschen nicht frei. Sie durften nicht in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete an der Wolga zurück und mussten unterschreiben, dass sie keine Ansprüche auf Verlorenes stellen werden. Katharina Martin-Virolainen setzt sich für die Aufarbeitung ihrer eigenen Familiengeschichte und der Schicksale von anderen Russlanddeutschen Spätaussiedlern in Berichten, Erzählungen und Romanen ein, wissend dass nur noch wenige Zeitzeugen am Leben sind.

Am letzten Tag erzählte Dr. jur. Helga Engshuber als Zeitzeugin von ihrer Flucht 1945 aus dem damaligen Sudetenland als neunjähriges Mädchen ohne Mutter mit ihren zwei jüngeren Brüdern an der Hand nach Deutschland sowie ihrer Jugend ohne Vater.

Die Präsidentin Dr. Maria Werthan entwickelte zum Schluss der Veranstaltung Gedanken und Thesen zu einem Leben in Grenzsituationen in Anlehnung an den Philosophen Karl Jaspers, demzu- folge der Mensch sich immer in neuen Grenzsituationen befindet und Entscheidungen treffen muss. Ihr Fazit: Wenn wir uns dem stellen, Schuld anerkennen oder Wandel akzeptieren und Verantwortung übernehmen, bedeutet dies Gewinn für unsere Selbstverwirklichung.

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