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Kriegerwitwen

Den Kriegswitwen ging es schlecht. Eine Offizierswitwe mit Kindern erhielt in den Jahren vor der Währungsreform 900,- Reichsmark im Jahr an staatlicher Unterstützung für sich und die Kinder; eine alleinstehende Witwe musste jährlich von 400,- RM leben. Man erwartete von den alleinstehenden Frauen Zurückhaltung und Hingabe für die Erziehung der Kinder. Die Gesetze erschwerten eine Wiederverheiratung, indem die Witwe mit der neuen Eheschließung ihre Rente verlor. Eine große Zahl von „Onkelehen“ — Versorgungsgemeinschaften ohne eheliche Verbindung  — war die Folge. Obgleich solchen Zusammenschlüssen die gesellschaftliche und soziale Anerkennung versagt blieb, wurden sie geduldet, waren aber – bis heute (Internet) – Gegenstand unaufhörlicher Diskussionen. Die moralische Festigung der Gesellschaft, die durch die gesetzlich nach wie vor bestehende Vorherrschaft des Vaters in der Familie gesichert werden sollte, kam durch die „Onkelehe“ ins Wanken.

Das damalige Gesellschaftsbild beschränkte das Leben der Witwen auf das häusliche Umfeld. Auch der Weg in ein Berufsleben galt als bedenklich. Mütter sollten sich mit vollem Einsatz der Erziehung der Kinder widmen. Die meisten Frauen hatten ohnehin keine Berufsausbildung. Niemand bemühte sich, ihnen die Chance einer erwerbstätigen Entwicklung zu geben, obgleich von der UNO schon 1948 die Charta des „Rechts auf soziale Sicherung“ formuliert und verkündet worden war.

Bildnachweis: LeMO Bestandsuche – Trümmerfrauen (dhm.de), 06.02.2022, 14.30; Deutsches Historisches Museum; Schirn15459/3

Die wenigen Männer, die aus Krieg und Gefangenschaft zurückkamen, waren umschwärmt und umlagert. Manche Ehe, deren Partner nach jahrelanger Trennung und traumatischen Erlebnissen wieder vereint waren, wurde wegen Entfremdung aufgelöst. Den Witwen als „männerverschlingenden und sexuell freizügigen Frauen“ lastete man die Schuld dafür an.

Der innere Zustand der Frauen kann nur verzweifelt gewesen sein. Nicht nur bangten oder trauerten sie um ihre Männer, sondern vermissten auch Verwandte und Freunde, die sie zu Kriegsende verloren hatten, oder die weit entfernt untergekommen waren. Ohne Mann in der Öffentlichkeit, selbst bei Familienfeiern, aufzutreten, hatten die Witwen nicht geübt. Ihr Selbstbewusstsein gründete in ihrer Rolle als Ehefrau, die nun beendet war. Nun musste die Witwe ihre Lebensführung allein auf ihre Mutterpflichten aufbauen, was die Bedeutung der Kinder in der Restfamilie veränderte. Notgedrungen wuchsen die Kinder – wenn sie sich nicht völlig verweigerten – in eine eher partnerschaftliche Beziehung zur Mutter hinein. Viele Minderjährige mussten der Mutter viel zu schwere außerhäusliche Aufgaben abnehmen. Sie mussten die Mutter begleiten, wenn diese die Kraft für einen Alleinauftritt nicht aufbringen konnte. Viele der Kinder – insbesondere die Töchter — fühlten sich „beschlagnahmt“ und „eingeklammert“. Häufig überforderten Mütter auch ihren ältesten Sohn und formten ihn mehr oder minder unbewusst zum „Vaterersatz“.

Neben all diesen ökonomischen und gesellschaftlichen Problemen war Aufgabe der Mütter, den Kindern die Erinnerung an den Vater wach zu halten. Das gelang ihnen schlecht, wie Befragungen der Kriegswaisen ergeben: Der Vater war verloren und keine noch so innigen Worte hätten ihn in die Gegenwart der Kinder zurückgerufen.

All diese Schwierigkeiten mussten die Frauen vor dem Hintergrund der kriegsbedingten Wirtschaftslage, der Wohnungsnot und der Lebensmittelknappheit bewältigen. Das in den neuen Siedlungsräumen gefundene soziale Umfeld stand den Flüchtlingen meist sehr skeptisch gegenüber, so dass zudem Freundinnen und Gesprächspartnerinnen fehlten.

Eine Frau kocht an einer offenen Feuerstelle vor einem Notquartier.

Die ersten Flüchtlingsvereine auf Landes- oder kommunaler Ebene trugen die Handschrift der wenigen Männer, die politischen Einfluss erstrebten. Daher muss die Freude der Frauen über die Gründung des Frauenverbandes riesig gewesen sein. Der Frauenverband bot ihnen Gelegenheit, sich über ihre Lage und ihre Probleme auszusprechen, die Kriegserlebnisse zu reflektieren und sogar die größten Schrecknisse wie Vergewaltigungen nicht zu verstecken. Vielen Frauen öffneten die Gespräche im Frauenverband neuen, zukunftsgerichteten Lebensmut.

Bei den Aussiedlerinnen (Bezeichnung bis Ende 1992, danach Spätaussiedler), die heute einen mächtigen Teil der Mitglieder des Frauenverbandes stellen, ist  die Lage ganz anders. Die Notzeiten nach Kriegsende haben sie in ihren Siedlungsgebieten überstehen müssen; Vertreibung zu mehrjährigen Diensten in Arbeitslagern hatten sie zu ertragen und als Deutsche – Fremdlinge, „Beutegermanen“  —  Rechtlosigkeit, Schmähungen und Zurücksetzungen erduldet. In ihren meist kommunistisch organisierten Wohnländern waren ihnen die freie Berufswahl und die Wahl des Wohnsitzes verwehrt. Wir zollen ihnen unseren höchsten Respekt, wie tapfer und unverdrossen sie ihr Deutschtum verteidigten.

Und sie hatten eine Entscheidung zu treffen, die für die Kriegsflüchtlinge und Kriegsvertriebenen nicht eröffnet war: Die Aussiedler mussten ihre Ausreise in die Bundesrepublik selbst beantragen und organisieren. Dabei wurde ihnen sowohl von Seiten des Ausreiselandes als auch des Ziellandes Deutschland ein großes Paket staatlicher Hürden auferlegt. Im Herkunftsland zog der Ausreiseantrag zahllose Repressalien nach sich, bis nach langer Wartezeit die Ausreiseerlaubnis vorlag; von Seiten der Bundesrepublik wurde ein Visum verlangt, dessen Voraussetzungen deutsche Volkszugehörigkeit und deutsche Sprachkenntnisse bildeten.

Wir bewundern, welchen Mut und welche Hartnäckigkeit die ausreisewilligen Menschen einsetzen mussten, um ihr Ziel zu erreichen. Allein der Entschluss, der ja unter Berücksichtigung aller bekannten Hürden gefasst werden musste, kostete ungeheure Kraft.

Wir bewundern auch, wie die seit dem frühen 18. Jahrhundert in die östlichen Nachbarländer gerufenen ehemaligen Deutschen an ihrem Deutschtum festgehalten haben, so dass sie heute das bundesdeutsche Bürgertum nachhaltig stärken können.

Bildquelle: Flüchtlinge: LeMO Bestandsuche – * (dhm.de), 06.01.2022, 14.25

Auch die Aussiedlerinnen und Spätaussiedlerinnen finden im Frauenverband ein Gremium, das sie in die Bräuche und Gewohnheiten, auch die Sprache, ihres früheren Wohnlandes wieder eintauchen lässt, so dass sie ihre Erinnerungen wachrufen und sich austauschen können. Der Frauenverband hilft ihnen in seinen Zusammenkünften auch, ihre neue Heimat zu erforschen, und bietet Beratung in praktischen Fragen, die sich in der neuen Umgebung stellen wie Arbeits- oder Wohnungssuche. Das „Zwischen-ihren-beiden-Welten-Sein“ – wie Gerlinde Saus formuliert hat – tut ihnen gut.

Da die Kriegsflüchtlinge und –Vertriebenen inzwischen über 80 Jahre alt sind, legen wir dankbar und voll Vertrauen die Geschicke des Frauenverbandes in die Hände der und nachfolgenden Generation, insbesondere der Aussiedlerinnen. Die wichtigsten Funktionen im Verband haben sie schon übernommen. Insbesondere unsere Präsidentin ist Banater Schwäbin, ebenso wie die Vizepräsidentin –  eine Russlanddeutsche mit wolhynien- und kasachstandeutschen Wurzeln ist . Wir hoffen auf eine gute Zukunft, in der die in neue Welten versetzten Frauen weiterhin Halt und Hilfe, wie auch geschichtliches Wissen über die zu bewältigenden Vorgänge bei uns finden.

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